Am 19.02.2021, ein Jahr nach dem ein Rassist in Hanau neun Menschen ermordert hat, haben wir am Stuttgarter Rathaus eine Gedenktafel angebracht.
Das Attentat in Hanau steht für traurige Kontinuität rechter Gewalt mit über 200 bekannten Todesopfern in der Geschichte der Bundesrepublik. Gleichwohl stellt es eine Zäsur in der Gedenkkultur dar. Von den Hinterbliebenen der Opfer wird selbstbewusst angemessenes Gedenken eingefordert: „Say their names!“
Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Mercedes Kierpacz, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz und Vili Viorel Păun.
Während in früheren Jahren rechte Gewalttaten viel stärker verschwiegen wurden, haben sich die Angehörigen, Überlebenden und antirassistische Initaitven lautes Erinnern an die Ermordeten erstritten. Dieses Erinnern soll auch früheren Opfern rassistischer Morde zu Teil werden und so steht die Tafel auch stellvertretend für die Opfer des NSU, aus Halle, München, Solingen, Hoyerswerda, der Stuttgarter Geißstraße und unzählige weitere.
Nicht nur in Hanau, sondern in vielen Städten wurde und wird der Opfer vom 19.02.2020 gedacht, sei es mit Veranstaltungen, Street-Art oder eben Gedenktafeln. Das dieses selbstbestimmte Erinnern so notwendig ist liegt auch daran, dass die Mehrheitsgesellschaft es bisher versäumt hat, eine angemessene Gedenkkultur zuzulassen. Noch viel wichtiger als das bloße Gedenken ist es aber, sich mit den tiefsitzenden Ursachen für rechte Gewalt auseinanderzusetzen und diese aktiv zu bekämpfen. Dass das Problem seit Jahrzenten nicht nur nicht angegangen, sondern sogar ignoriert oder verleugnet wird und die entsprechenden politischen Konsequenzen nicht folgen, hinterlässt bei vielen Betroffenen und antirassistisch Engagierten bei offiziellen Gedenken oft das fahle Gefühl des Feigenblatts.
Es ist im Grundsatz begrüßenswert, dass die Stadt Stuttgart sich nun mit Gedenkkultur auseinandersetzen möchte. Einige in unserem Bündnis schauen dem Prozess hoffnungsvoll, andere kritisch entgegen.
Wir trauern mit den Hinterbliebenen um die Toten. Wir sind wütend auf die Gesellschaft, die die Ursachen für die Taten nicht entschlossen genug angeht. Wir wollen keine Gedenktafeln für immer neue Opfer brauchen müssen, weil es keine weiteren Opfer geben darf.
Wir haben mit der Anbringungen der Gedenktafel am Stuttgarter Rathaus in einem Akt zivilen Ungehorsams das umgesetzt, was eigentlich nicht notwendig sein sollte. Damit haben wir der Stadtgesellschaft einen Ort für das Gedenken angeboten. Dieser wurde angenommen, gepflegt, beschmiert, gereinigt, entfernt. Alles davon mag symbolisch für den Umgang mit den Opfern rechter Gewalt sein.
Zumindest in unserem Bündniskollektiv werden wir es für heute dabei belassen. Wir haben die Debatte um selbstbestimmte Gedenkkultur angestoßen und werden diese an anderer Stelle wieder aufnehmen.