Am 26. Mai 2019 finden auch in Stuttgart Kommunalwahlen statt. Parteien und Gruppen buhlen mit 20 Listen in der Landeshauptstadt um die Stimmen der Stuttgarter*innen, darunter einige Altbekannte, aber auch neue politische Zusammenschlüsse.
Eine Gruppe, die zum ersten Mal antritt, ist das „Bündnis Zukunft Stuttgart 23“ (BZS 23). Die Gruppe wurde 2018 nach dem Zerfall der AfD-Fraktion durch zwei ehemalige AfD-Gemeinderäte ins Leben gerufen und ist durch deren Mandat schon jetzt im Gemeinderat vertreten.
Im Rahmen ihrer Kandidatur bemüht sich BZS 23 nach Kräften das rechte Image, das ihren Stadträten bisher anhaftet, los zu werden. Gerade deswegen ist Vorsicht geboten. Bei BZS 23 handelt es sich aktuell de facto um den organisatorischen und politischen Nachfolger der zerfallenen AfD-Fraktion.
DIE VORGESCHICHTE
Im Zuge des bundesweiten Aufwinds rechter Kräfte zogen auch bei den vergangenen Kommunalwahlen im Mai 2014 drei Vertreter der rechtspopulistischen AfD in den Stuttgarter Gemeinderat ein. Unter ihnen der Arzt Heinrich Fiechtner, der wenig später auch als Vertreter der AfD in den baden-württembergischen Landtag gewählt wurde.
Die Gruppe im Stuttgarter Gemeinderat erhielt im Februar 2015 Verstärkung durch den aus der FDP ausgetretenen Stadtrat Bernd Klingler. Dieser stand im Verdacht bei den „Liberalen“ Fraktionsgelder veruntreut zu haben. Anstatt das Mandat zurückzugeben wechselte der gebürtige Stuttgarter in das rechtspopulistische Lager und stieg dort rasch zum Fraktionschef auf. Doch auch die Verstärkung der AfD-Gruppe konnte deren Verfall nicht verhindern. Spätestens seit Mitte März 2018 ist die Fraktion im Gemeinderat Geschichte.
Am Ende blieb der Ex-CDUler Brett als einziger Vertreter der AfD im Gemeindeparlament übrig. Zuerst wechselte der AfDler Lothar Maier 2015 in die Bundespolitik, sein Mandat übernahm ein Mitglied der Lucke-Vereinigung „Liberal Konservative Reformer“ (LKR). Ein Höhepunkt der öffentlich ausgetragenen Querelen war dann der Versuch der Restfraktion Heinrich Fiechtner sein Gemeinderatsmandat abzukaufen. Interessanterweise kritisierte Noch-Fraktionschef Klingler seinen Ex-Kollegen Fiechtner zu dieser Zeit hart, nur um alsbald mit ihm gleich zu ziehen und aus der AfD auszutreten.
Dass sie „Brüder im Geiste“ sind bewiesen sie auch schon, als beide noch Mitglied der AfD waren. Dort fielen sie durch plumpe Provokationen, Verzögerungen des Sitzungsablaufs und rechte Agitation im Gemeinderat auf. So bezeichnete Fiechtner den Stuttgarter OB Kuhn als „miesen faschistoid-populistischen Scharfmacher“ und verglich in einem anderen Fall den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“. Klingler hingegen warnte beispielsweise 2015 in einem Video eindringlich vor „Eindringlingen, die unsere Sozialsysteme aussaugen“.
Zu einer Distanzierung von den stramm rechten Aussagen kam es auch nach den Austritten Klinglers und Fiechtners nicht. Für die Loslösung von der zerstrittenen AfD-Fraktion sprechen gerade deswegen eher persönlicher Groll und karrieristische Gründe. Inhaltlich setzen beide ihre Linie auch in ihrer neuen Vereinigung BZS 23 ungebrochen fort.
ALTES PERSONAL – GLEICHE IDEEN
Mit Klingler und Fiechtner, der weiterhin auch fraktionsloses Mitglied des Landtags ist, kehrte auch der ehemalige Pressesprecher der Fraktion Dieter Lieberwirth der AfD den Rücken und schloss sich der neu gegründeten Gruppe BZS 23 an. Als faktischer Rechtsnachfolger der AfD-Fraktion hat das Ratsduo Klingler Fiechtner zudem uneingeschränkten Zugriff auf deren Gelder, aktuell etwa 100.000 Euro.
Im Gemeinderat knüpften die beiden Stadträte nahtlos an ihre AfD-Zeiten an. So forderten beide Anfang 2019 die Stadtverwaltung in einem Antrag auf, ihnen detaillierte Auskunft über den Anteil von „Geflüchteten“ und „sonstigen Ausländern“ bei meldepflichtigen Infektionskrankheiten mitzuteilen. Der Hintergrund der Anfrage ist nicht schwer zu erraten: Beide scheinen die These zu vertreten, Geflüchtete und Migrant*innen würden Krankheiten ins „gesunde“ Deutschland schleppen und somit eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen. Die abschließende Frage des Antrags nach der „Gefährdung für Stuttgarter Bürger“ macht ihren rassistischen Charakter deutlich.
Mit einem ähnlichen Antrag erkundigen sich beide u.a. nach der Höhe der Sozialleistungen für Geflüchtete bzw. der allgemeinen Ausgaben für die Unterbringung geflüchteter Menschen. Im bekannten AfD-Duktus schwadronieren die BZS 23 Stadträte von der „Krise durch ungehemmte(n) Zuwanderung […] größtenteils zum Aufenthalt nichtberechtigter Personen“. Ziel der Anfrage ist nicht etwa das Wohlergehen der vor Krieg und Vertreibung geflüchteten Menschen. Klingler und Fiechtner suchen nach Munition, um den rassistischen Spaltkeil tiefer in die Gesellschaft zu drücken. Der NPD-Slogan „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“ lässt grüßen.
Auch aus ihrer Verachtung für jedweden Fortschritt und der Leugnung des Klimawandels machen die beiden Ex-AfDler keinen Hehl. So wird beispielsweise den Kundgebungen auf der B14 gegen die Luftbelastung in der Innenstadt der Missbrauch des Demonstrationsrechts unterstellt. In der Generaldebatte zum Klimawandel widerspricht der Arzt Fiechtner den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Mitschuld des Menschen am Klimawandel, erklärt diese zu „wahnhaften Vorstellungen“ und vergleicht Fridays for Future mit Scientology.
Auch aus der Nähe zu anderen rechten Gruppen macht gerade Heinrich Fiechtner keinen Hehl. Wo auch immer in der Landeshauptstadt Bewegung mit Potential am rechten Rand entsteht ist der Landtagsabgeordnete dabei. Im September besuchte er als einer der wenigen lokalen Teilnehmer die Kundgebung des rechts-klerikalen „Bus der Meinungsfreiheit“ auf dem Marktplatz. Umringt von einer vierstelligen Anzahl an Gegendemonstrant*innen propagierte die CDU-Rechtsaußen Hedwig von Beverfoerde u.a. vor AfD-Mitgliedern und Piusbrüdern die Unterordnung der Frau unter den Mann und rückte Homosexualität in die Nähe von Krankheiten. Im Frühjahr 2019 klinkte sich Fiechtner schnell in die ersten Anti-Fahrverbotsdemos ein und suchte den Schulterschluss mit CDU, AfD und der rechten Pseudogewerkschaft „Zentrum Automobil“.
BZS 23: BELIEBIG, BIEDER, RECHTS
Zur aktuellen Kommunalwahl hat BZS 23 bereits Ende März 2019 eine volle Kandidat*innenliste vorgelegt, auf der sich der Sohn von Heinrich Fiechnter und der Vater von Bernd Klingler als Ersatzkandidaten um einen Platz im Stuttgarter Gemeinderat bewerben. Ungefragt wies Bernd Klingler bei der Vorstellung der Liste auf den Migrant*innenanteil unter den Kandidat*innen hin. Wie viele andere Rechte versucht er dadurch die eigene, von rassistischen Ressentiments geprägte Haltung zu vertuschen. Dass die Duldung von Frauen und Migrant*innen in den eigenen Reihen kein Widerspruch zu stramm rechter Politik ist belegen AfD und CSU täglich. Auch bei BZS 23 ist das nicht anders.
Inhaltliche Positionierungen hält BZS 23 bewusst vage. Mit dem an die AfD-Parole angelehnten Slogan „Politik der Vernunft“ bleibt die Gruppe bei Allgemeinplätzen stehen und wird nur an populären Stellen, wie etwa bei den Dieselfahrverboten, konkret. Ähnlich liest sich auch das Wahlprogramm. Mit dem Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort Stuttgart, der Forderung nach mehr innerer Sicherheit und der Kritik an zu wenig Kita-Plätzen verlieren sich Fiechtner und Co in größtenteils inhaltsleeren Phrasen, die am Ende wenig über die konkrete Politik und die Pläne der Gruppe aussagen.
Dieser Umstand verdeutlicht umso mehr den Charakter der Vereinigung: Bei BZS 23 handelt es sich augenscheinlich um einen reinen Wahlverein, zugeschnitten auf die beiden Spitzenkandidaten Heinrich Fiechtner und Bernd Klingler. Deren aktuelle Realpolitik sagt viel über das aus, was BZS 23 im Kern verkörpert und was auch nach der Wahl von dem Zusammenschluss zu erwarten ist: Eine stramm rechtspopulistische Politik.
Stuttgart im Mai 2019
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