Am heutigen Samstag, den 15.02.2020, haben wir den Protest gegen den Landesparteitag der selbsternannten „Alternative für Deutschland“ in der Kongresshalle in Böblingen unterstützt.
Nach einer gemeinsamen Anreise aus Stuttgart zogen wir mit einem Protestzug zur Kundgebung des DGB an der Halle. Schon hierbei zeigte sich, dass die Polizei wieder einmal zu einer übertriebenen Leistungsschau inklusive Hunde- & Reiterstaffel aufgefahren hatte.
Vor der Halle gab es bereits zahlreichen und lauten Protest gegen die anreisenden Parteimitglieder, dem wir uns anschlossen. Gemeinsam konnte die Einfahrt zur Halle für Busse einige Zeit blockiert werden, der Anfahrtsweg zur Halle ging nur vorbei an einer gut 100 Meter langen Allee von Protestierenden.
Bei der anschließenden Kundgebung des DGB direkt vor dem Halleneingang hielten auch wir einen Redebeitrag (Text siehe unten).
Neben dem Parteitag fand in der Legendenhalle, die gut 15 Fußminuten von der Kongresshalle entfernt liegt, ein Symposium der sogenannten „Demo für Alle“ statt. Um auch diese Zusammenkunft von konservativen, christlich-fundamentalistischen und radikal rechten Kräften nicht unkommentiert zu lassen, zog ein Teil der Demonstrierenden zu spontanen Protesten dorthin.
Wir bedanken uns beim DGB für die Organisation der Kundgebung und bei allen, die heute in Böblingen mit dabei waren.
Unser Redebeitrag zum Nachlesen:
Guten Morgen zusammen, schön, dass ihr alle hier seid.
Zunächst einmal geht ein Dankeschön an die Organisatorinnen und Organisatoren dieser Kundgebung. Vielen Dank, dass ihr diese wichtige Aufgabe übernommen habt und vielen Dank, dass ihr uns die Möglichkeit gebt, hier zu sprechen.
Ich darf heute im Namen des Aktionsbündnis Stuttgart gegen Rechts ein paar Worte an euch richten. In unserem Bündnis arbeiten wir seit gut vier Jahren gegen die verschiedenen Facetten des europaweiten Rechtsrucks, den wir seit einigen Jahren erleben müssen.
Drei Punkte sind uns in unserer Arbeit gegen Rechts besonders wichtig.
Erstens müssen wir die gesamtgesellschaftliche Dimension des Rechtsrucks begreifen. Die selbsternannte „Alternative für Deutschland“ ist zwar parlamentarischer Arm dieses Rechtsrucks, aber damit nur Spitze des Eisbergs.
Begonnen als eine nach rechts offene national-neoliberale Partei ist sie heute eine, die engen Anschluss an die radikalen Rechten bietet. Es gibt enge Kontakte mit neurechten Vordenkern wie Götz Kubitschek, personelle Überschneidungen mit der Identitären Bewegung oder dem Hannibal-Netzwerk. Geschadet hat das alles der Partei nicht, im Gegenteil. Sie wird nicht obwohl, sondern gerade weil sie rechte Position vertritt, gewählt.
Nach Thüringen hat sich gezeigt, dass, wenn auch zum Teil nur unter großem öffentlichem Druck, eine parlamentarische Zusammenarbeit mit der „AfD“ heute nicht möglich ist. Doch trotzdem prägt die Partei die politische Realität in der Bundesrepublik. Sie verschiebt den gesamtgesellschaftlichen Diskurs und damit auch reales Regierungshandeln nach rechts.
Wird über Flüchtlingspolitik geredet geht es nicht um humanitäre Verantwortung, sondern darum, wer am schnellsten und härtesten abschieben kann. Das fällt der Union natürlich leicht, aber SPD im Bund und Grüne hier im Land machen das mit. Die Verschiebung des Sagbaren nach rechts macht an keiner Parteigrenze halt, auch nicht bei der Opposition.
Das Übernehmen rechter Sprachmuster verändert das gesellschaftliche Klima auch in anderen Bereichen. Es herrscht eine Stimmung, in der in allen Bundesländern ein Überbietungswettbewerb bei Polizeigesetzverschärfungen praktisch ohne parlamentarische Opposition stattfinden kann. Gleichzeitig werden rechte Terrornetzwerke von den Behörden immer noch verharmlost und vertuscht. Linke Strukturen, die die notwendige Aufklärungsarbeit leisten, werden kriminalisiert.
Politikerinnen und Politiker von Union und FDP sind sich immer noch nicht zu blöd, den Mythos der Gleichsetzung von Links & Rechts weiter zu propagieren. Wer jedoch Bodo Ramelow und Bernd Höcke auf eine Stufe stellt, der spielt ein gefährliches Spiel.
Verwunderlich ist das nicht. Inhaltlich ist schwarz-gelb nach rechts natürlich anschlussfähiger. Auch wenn sich die „AfD“ gerne als „Partei der kleinen Leute“ inszeniert, so offenbart Ihr Programm schnell, dass sie nach wie vor eine national-neoliberale Politik zu Ungunsten der Mehrheit betreibt, etwa mit Forderungen zur Abschaffung der Erbschaftssteuer und Ablehnung der Vermögenssteuer.
Auch zu wertkonservativen Kräften wird erfolgreich Anschluss gesucht, etwa mit Familienpolitik aus dem 19. Jahrhundert. Bei der sogenannten „Demo für Alle“ oder dem „Marsch für das Leben“ marschieren rechte Hardliner zusammen mit CDU-Gliederungen. Auch hier spüren Betroffene die Auswirkungen schon ganz real. In Stuttgart gibt es etwa seit 2015 keine Klinik mehr, die Abtreibungen anbietet, weil potentielle Vermieter sich von Gegnern zu sehr bedroht fühlten.
Einstellung der Förderung linker Subkultur, körperliche Angriffe auf LGBTTIQ, Abschiebungen trotz Krankheit oder in Kriegsgebiete, Morde durch rechte Terroristen: All das passiert heute schon ohne Regierungsbeteiligung der selbsternannten „Alternative für Deutschland“, allein durch den Einfluss auf das gesellschaftliche Klima und die politische Debatte.
Auch wenn nicht alle, die heute hier stehen, von dieser Politik schon aktiv betroffen sind, ist genau jetzt der Zeitpunkt, den solidarischen Schulterschluss zu üben. Und das ist der zweite Punkt, der uns als Bündnis in der Arbeit gegen Rechts besonders wichtig ist. Der Protest gegen Rechts ist nicht nur legitim, er ist notwendig, um die Errungenschaften unserer Gesellschaft zu verteidigen. In unserem Bündnis sind Gewerkschafts- und Parteigliederungen genauso engagiert wie antifaschistische Initiativen.
Auch wenn wir unterschiedliche Vorstellungen davon haben mögen, wie die Zukunft aussehen soll: Wir sind uns einig, dass das Rad der Geschichte nicht zurückgedreht werden darf.
Unsere Strukturen haben unterschiedliche Ziele und Arbeitsweisen, jede und jeder von uns hat individuelle Vorstellungen und Grenzen.
Doch uns eint die Überzeugung, dass der gesellschaftliche Rechtsruck nicht unwidersprochen hingenommen werden darf. In dieser Überzeugung müssen wir solidarisch zusammenstehen, wir dürfen uns nicht in vermeintlich guten und vermeintlich schlechten Protest spalten lassen.
Eine spektrenübergreifende, respektvolle Zusammenarbeit ist der Schlüssel, um ein solidarisches Miteinander zu gestalten und so den plumpen Phrasen von Rechts etwas entgegensetzen.
Gemeinsam setzen wir dem reaktionären Gesellschaftsbild ein emanzipatorisches entgegen, der gesellschaftlichen Spaltung Solidarität, den Verschwörungstheorien Aufklärung.
Diesen Protest, und das ist unsere dritte Überzeugung, den gilt es so nah wie möglich an den Ort des Geschehens zu tragen.
Wann immer die rechten Brandstifter wo auch immer auftauchen: Es ist nichts Falsches daran, am anderen Ende der Stadt eine bunte Fahne zu schwenken. Doch es reicht nicht. Der Umgang mit der selbsternannten „Alternative für Deutschland“ muss immer klar machen: Es handelt sich hierbei nicht um eine Partei wie alle anderen.
Die Hoffnung, die „AfD“ sei zu bändigen, indem man sie in Talkshows einlädt, die Hoffnung, „besorgte Bürger“ würden weniger besorgt, wenn man ihnen zuhört – das hat sich als gefährlicher Irrtum erwiesen. Das ist aber auch nicht verwunderlich, sondern ganz im Sinne der Erfinder. Die Teilnahme der rechten Kräfte am gesellschaftlichen Diskurs will diesen nicht gestalten, sondern abschaffen.
Wer die Demokratie zerstören will, hat sein Recht auf eine Beteiligung am demokratischen Diskurs verwirkt.
Und das muss unser Protest immer klar machen. Wenn es brennt, dann predigen wir nicht vom Wasser, wir gehen löschen.
Das gilt auch und insbesondere hier in Baden-Württemberg. Bei der letzten Landtagswahl wurde die „AfD“ die drittstärkste Kraft. Die Bundesebene wird von diesem Landesverband maßgeblich mitgeprägt.
Das gilt zum einen, wenn die Grenzen nach rechts ausgetestet werden, etwa wenn sich Wolfgang Gideon offen antisemitisch äußert, wenn Stefan Räpple den NSU verharmlost, wenn Christina Baum vom „Genozid an der deutschen Bevölkerung “ schwadroniert oder Dirk Spaniel mit bekannten Rechtsradikalen gegen den SWR demonstriert.
Auf der anderen Seite stehen Personen wie Jörg Meuthen und Alice Weidel, die sich als Gegenpol zu inszenieren versuchen und mit strategisch motivierten, halbgaren Abgrenzungsversuchen nach rechts den Anschluss an das behalten wollen, was sie für die sogenannte bürgerliche Mitte halten.
Egal, wer sich heute in der Halle dort durchsetzen wird: Der Unterschied zwischen den beiden Lagern innerhalb der Partei besteht längst hauptsächlich in der Frage, wie radikal die Politik verpackt und verkauft wird.
So oder so setzt die selbsternannte „AfD“ auf blanken Populismus, der Keile in die Gesellschaft treibt. Dem werden wir nicht tatenlos zusehen.
Wir sind dort, wo gegen ein friedliches und solidarisches Miteinander gehetzt wird. Dieser Protest, das Entgegentreten gegen die Hetzer, das Einstehen für eine solidarische Gesellschaft, das ist nicht nur richtig, es ist notwendig.
Es ist notwendig jetzt und hier, es ist notwendig, wenn ihr morgen wieder in eure Betriebe, Vereine, Familien geht. Seit weiter engagiert, seit weiter laut, seit weiter solidarisch.
Danke, dass ihr dabei seid!
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