Unsere „klassische“ Arbeit – also Gegenproteste & Informationsveranstaltungen – ruhen gerade, wie es so viele Bereiche unserer Gesellschaft tun. Vor den tagesaktuellen Ereignissen im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus verblasst vieles andere in der öffentlichen Wahrnehmung. Gerade deshalb möchten wir heute den Blick auf ein paar Themen werfen, die uns in der Vergangenheit beschäftigt haben und die an Aktualität nicht einbüßt haben, im Gegenteil.
Unser Bündnis hat sich in der Vergangenheit nie nur mit „klassischen“ rechten Akteuren auseinandergesetzt. Immer war für uns klar: Die Asyl- & Abschiebepolitik aller Parteien in Bund und Ländern sind ebenso ein Teil des Problems des gesellschaftlichen und politischen Rechtsrucks bzw. dessen Ausdruck. Wie schnell die Sonntagsreden von europäischer Solidarität verblassen, sehen wir daran, wie mit den Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen umgegangen wird. Am Ostersonntag ist vor den Augen aller wieder ein Boot gesunken. Die Toten dort werden wissentlich in Kauf genommen. Menschenrechte gelten offenbar nur solange etwas, wie sie nichts kosten und wir nichts Besseres zu tun haben. Als Bündnis solidarisieren wir uns mit den zivilen Hilfsorganisationen vor Ort und danken der Organisation Seebrücke, die ihre Augen nicht von diesem Thema abwendet und versucht hat unter erschwerten Bedingungen einen Aktionstag in Stuttgart auf die Beine zu stellen.
Bei all den richtigen und wichtigen Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie darf politischer Protest nicht unmöglich gemacht werden. Die Seebrücke hat am 5.4. bundesweit gezeigt, dass Aktionen auf der Straße und politischer Protest in der Öffentlichkeit auch trotz Corona möglich sein können und müssen. Alleine oder zu zweit zogen Demonstrierende unter der Einhaltung aller gegebenen Abstandsregeln durch die Straßen, um politische Statements im öffentlichen Raum zu platzieren. Doch selbst hierbei musste einiges an Repression in Kauf genommen werden. So wurde sogar die Nachfrage, ob es okay wäre, ein Plakat aufzuhängen, als Versuch gewertet, die Einschränkungen des Demonstrationsrechts zu brechen und daraufhin die Personalien des Demonstranten aufgenommen. Ziel der restriktiven Regeln sollte es sein, die Verbreitung eines Virus zu verhindern. Dieses Thema zu missbrauchen, um unliebsamen Protest einzuschränken oder die Spielräume ohnehin schon repressiver Maßnahmen auszuweiten, werden wir nicht hinnehmen. Wir sehen hier eine weitere Ausprägung von autoritären Tendenzen, die wir auch in der Vergangenheit schon erlebt haben, die nun aber eine vermeintliche Legitimation bekommen.
Auch unsere „klassische“ Arbeit gegen Rechts benötigt ein wachsames Auge, wie die folgenden Fälle zeigen. Am Samstag, den 18.04., fand in Stuttgart eine Kundgebung gegen das Versammlungsverbot statt. Auch wenn Kritik am (mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht gekippten) generellen Versammlungsverbot richtig ist, ist es gefährlich, dass Kräfte um rechte Verschwörungstheorien dieses Thema für sich vereinnahmen wollen. Die anmeldende Privatperson, die politisch bisher nicht öffentlich in Erscheinung trat, teilt in den sozialen Medien Beiträge von typischen Akteuren der Szene wie KenFM oder der „Atlas Initiative“. Das politische Tagesgeschehen wird gezielt für rechte Propaganda genutzt. Am 7. April wurde der Jugendliche Arkan Hussein Khalaf ermordet. Der Täter hatte ebenfalls zumindest auf den Sozialen Medien Kontakte zu Rechten Kreisen und eine Nähe zu rechten Verschwörungstheorien. Netzwerke zwischen radikalen Rechten und der Prepper-Szene werden wieder sichtbarer. Wie etwa das RND Anfang April meldete, bereiten sich diese Kreise auf einen „Tag X“ in der aktuellen Krise vor und räumen ihre Waffenlager leer. Gerade die Erkenntnisse, dass diese Netzwerke anschlussfähig in Bundeswehr und Polizeibehörden sind, beunruhigen heute besonders. Auch wenn wir hoffen, dass uns dieser „Tag X“ mit all seinen schlimmen Konsequenzen erspart bleibt, können wir dieses Thema nicht unbeobachtet lassen und dürfen uns trotz der Krise und ihren Einschränkungen für persönliche Treffen und Aktion auf der Straße nicht handlungsunfähig machen lassen.
Wir möchten überdies darauf aufmerksam machen, dass die bisher getroffenen Hilfen und Rettungspakete für die Wirtschaft oder die weitgreifenden Regelungen für Home-Office vor allem vorübergehende Lösungen für ohnehin privilegierte Kreise sind und dass die Auseinandersetzungen darum, wer letztlich für die Krise bezahlen wird, derzeit auch geführt werden müssen bzw. unsere Aktivitäten in der Zukunft beeinflussen werden. Wieder einmal trifft diese Krise die Schwächsten. Diskussionen um Verteilungsgerechtigkeit haben den Rechten auch schon in der Vergangenheit massiv Auftrieb gegeben. Gerade deshalb möchten wir exemplarisch auf ein paar (von vielen) Ansätzen hinweisen, die in Stuttgart soldarischen Zusammenhalt üben und Unterstützung anbieten. Schaut vorbei bei Solidarisches Stuttgart, Künstler*innensoforthilfe Stuttgart, Stuttgart-Ost Solidarisch oder Gemeinsam Helfen 0711.
Auch wenn es heute viele weitere Sorgen gibt und unsere Arbeit anders aussieht: sollten Rechte versuchen aus der Situation Kapital zu schlagen werden wir da sein. Ebenso, wenn unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes dauerhaft Freiheitsrechte abgebaut werden.
Also, trotz Pandemie: Weiter gemeinsam gegen Rechts.
Gebt weiter aufeinander acht und bleibt gesund!
Stuttgart gegen Rechts, am 18. April 2020